für die Produktion nutzbar machen
TEXT Gerda Kneifel (WGP) FOTOS Daniel Ingold / IWF Berlin / IFW Hannover / IPK Berlin
Künstliche Intelligenz (KI) ist derzeit in aller Munde. Die Regierung hat mit ihrer Strategie Künstliche Intelligenz drei Milliarden Euro bis zum Jahr 2025 in Aussicht gestellt, um eine Marke KI – made in Germany aufzubauen und sich damit eine weltweite Führungsposition zu sichern. Das dürfte angesichts der Investitionen und Fortschritte in den USA und zunehmend auch in China nicht einfach werden. Doch Deutschland hat noch einen entscheidenden Vorteil: seine produktionsnahe Forschung. „Künstliche Intelligenz birgt auch für die Produktionstechnik enorme Chancen“, betont Prof. Berend Denkena, Präsident der WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik) und Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz-Universität Hannover. „Als Forschungsgemeinschaft können und wollen wir diesen Megatrend vorantreiben.“
Einige WGP-Institute forschen bereits konkret zu KI in der Produktion, wie etwa in Aachen, Berlin, Erlangen, Karlsruhe und Stuttgart. „Als WGP verfügen wir mit unseren rund 40 Forschungsinstituten über ein einmaliges Domainwissen der Produktion. Das Wissen aus den KI-Forschungen hinzugenommen wollen wir nun eine Grundlage schaffen, auf der die bereits existierenden Erfahrungen strategisch so weiterentwickelt werden, dass die bislang nur punktuell genutzten neuen Wertschöpfungspotenziale durch KI in der Produktion auch systematisch gehoben werden können“, betont Prof. Jörg Krüger, Leiter des Fachgebiets Industrielle Automatisierungstechnik im Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb (IWF) der TU Berlin sowie Leiter des Geschäftsfeldes Automatisierungstechnik des Fraunhofer Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK in Berlin.
Die Professoren wollen bis zum Frühsommer ein Standpunktpapier ausarbeiten, das erstmals wesentliche Fragen und Antworten zur KI in der Produktion formuliert. „Damit wird die deutsche Industrie die neue Technologie künftig vermehrt nutzen und einen wirtschaftlichen Nutzen aus KI ziehen können“, ist sich Krüger sicher, der das Standpunktpapier initiiert hat. Es ist denn auch gedacht als ein Weckruf an Unternehmen, sich mit Fragen der KI praktisch auseinanderzusetzen. Praktische Handlungsempfehlungen für die Einführung der Technologien sollen den Wissenstransfer beschleunigen. In Deutschland dauert es oft Jahre, bis Forschungsergebnisse in die unternehmerische Praxis Eingang finden. Bei einer sich rasant entwickelnden Technologie wie der KI würden dann Lösungen in den Firmen ankommen, die schon längst überholt sind.
„Um KI-basierte Lösungsansätze für produktionstechnische Probleme zu finden, müssen wir zuallererst einmal die für die Produktion notwendigen Fragen an die KI-Systeme definieren und formulieren“, beschreibt Krüger die Vorgehensweise der WGP. „Denn ein KI-System weiß nicht, welche Daten wo in der Prozesskette gewonnen werden müssen, damit es überhaupt lernen kann, was wie produziert werden soll.“ Diese Lücke soll nun das WGP-Standpunktpapier schließen.
32 Milliarden Euro mehr Umsatz dank KI
Schon vor rund 30 Jahren gab es Arbeiten zur Produktionsplanung bzw. der Maschinendiagnose mit künstlichen neuronalen Netzen. Die zur Verfügung stehenden Datenmengen und auch die Möglichkeiten der Verarbeitung und Speicherung sind mittlerweile jedoch groß genug, um damit in der Produktion eine Reihe neuer Wertschöpfungspotenziale zu erschließen. „Und diese Datenverfügbarkeit wird in Zukunft weiter steigen“, weiß Denkena.
Aus diesem Grund glauben die WGP-Experten, dass KI in absehbarer Zeit zu zahlreichen Innovationen in der Produktion führen wird. Auch der Milliardentopf der Bundesregierung und die Investitionen der Universitäten in den Ausbau von Professuren zeigen, wie groß das Potenzial der Künstlichen Intelligenz eingeschätzt wird. Nicht zuletzt kommt auch die 2018 erschienene sogenannte PAiCE-Studie, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Auftrag gegeben hat, zu dem Schluss, dass die Technologien für das produzierende Gewerbe große Bedeutung erlangen könnten. Das Institut für Innovation und Technik (iit) in Berlin berechnete, dass das KI-induzierte zusätzliche Wachstum in den kommenden vier Jahren bei knapp 32 Milliarden Euro liegen wird. Das entspricht rund einem Drittel des gesamten Wachstums der Branche in diesem Zeitraum. Die Autoren der Studie empfehlen daher der Politik, KI-Technologien wie das Maschinelle Lernen und Computer Vision gezielt zu fördern. Denn das enorme Wachstum könne nur dann zum Tragen kommen, wenn KI systematisch genutzt wird. „Eine höhere Wertschöpfung dank KI wird sich übrigens nicht nur bei vollautomatisierten Systemen auftun“, ergänzt Krüger. „Auch in teilautomatisierten Systemen oder in Assistenzsystemen für den Werker lässt sich die Wertschöpfung dank KI deutlich erhöhen. Das heißt: Es ergeben sich klare Wettbewerbsvorteile für die gesamte deutsche Industrie.“
Die Produktion wird perfektioniert
KI-Anwendungen könnten die Überwachung und Wartung von Produktionsanlagen, optimiertes Ressourcen- und Wissensmanagement, Qualitätskontrolle, Robotik und nicht zuletzt intelligente Assistenzsysteme sein. Besonders großes Potenzial für die Produktionstechnik sehen Experten derzeit im Deep Learning, einer Teildisziplin des Maschinellen Lernens. So können zum Beispiel bereits strukturierte Maschinendaten von unterschiedlichsten Sensoren mit unstrukturierten Daten wie Bildern, Videos oder auch Tönen verbunden werden und mit Machine-Learning-Algorithmen können darin bestimmte Muster erkannt bzw. Korrelationen identifiziert werden. Diese wiederum helfen, frühzeitig Anomalien ausfindig zu machen und damit Schäden an der Maschine oder gar der gesamten Anlage zu verhindern. Das Lernende System, also die sich selbst überwachende Anlage, verhindert Produktionsfehler oder gar -ausfälle, verringert Wartungs- und Kontrollaufwände und verbessert somit die Qualität der Produkte und die Effizienz der Fertigung.
Auch die Genauigkeit und Effizienz einzelner Maschinen lässt sich dank KI deutlich erhöhen. „Ein Beispiel aus der Forschung zeigt, dass wir dank Künstlicher Intelligenz die Grundlagen zerspanender Kräfte besser verstehen lernen“, erklärt Krüger. „Damit können wir die lange akzeptierten und etablierten Zerspanmodelle weiter verbessern. Zerspanende Maschinen werden genauer und effektiver, weil wir mehr über die Gegenkräfte beim Zerspanen wissen und die Positioniergenauigkeit besser regeln können“, erläutert Krüger ein Forschungsprojekt seines WGP-Kollegen Prof. Christian Brecher vom Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen.
Nicht zuletzt ist die Produktionsplanung und -steuerung ein wichtiger Ansatzpunkt für KI-Systeme. Gerade in Zeiten individueller Kundenwünsche und kürzer werdender Vorlaufzeiten bei der Auftragsabwicklung kann eine automatisierte Festlegung etwa von Abarbeitungsreihenfolgen in einer Fließfertigung eine höhere Wertschöpfung bedeuten. Die Vorhersage von Materialbedarfen oder Werkzeugen reduziert Wartezeiten und Entscheidungsunterstützungen in Echtzeit im Fall von unvorhergesehenen Ereignissen machen die Fertigung agiler und sicherer.
Da es oft an personellen Kapazitäten mangelt, können KI-basierte Dienstleistungen ein durchaus gewinnbringendes neues Geschäftsmodell sein. Das israelische Start-up 3D Signals zum Beispiel hat sich darauf spezialisiert, Maschinen mit Mikrofonen abzuhören, wodurch außergewöhnliche Geräusche sofort identifiziert werden. So soll ein Stahlrohrhersteller nach Angaben der WirtschaftsWoche innerhalb von nur zwei Monaten 180.000 Dollar gespart haben, weil seine Produktion seltener stillstand: KI als eine Win-win-Situation.
Die WGP ist ein Zusammenschluss von 66 renommierten und weltweit vernetzten Professorinnen und Professoren der Produktionswissenschaft. Sie vertritt die Belange von Forschung und Lehre gegenüber Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit und steht für rund 2.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die WGP hat sich zum Ziel gesetzt, die Bedeutung der Produktion und der Produktionswissenschaft für die Gesellschaft und für den Standort Deutschland aufzuzeigen und Stellung zu gesellschaftlich relevanten Themen von Industrie 4.0 über Energieeffizienz bis hin zu 3D-Druck zu beziehen. Sie bringt halbjährlich einen Newsletter zu aktuellen Schwerpunktthemen heraus. Er kann auf der Homepage der WGP abonniert werden. Dort ist auch ein Archiv zu finden.