Den Wandel
INTERVIEW Helmut Angeli
FOTOS Tina Trumpp
Den Wandel
gestalten
INTERVIEW Helmut Angeli
FOTOS Tina Trumpp
Nach fast 20 Jahren als Vorstandsvorsitzender wechselte Klaus Winkler Ende letzten Jahres in den Aufsichtsrat der HELLER Gruppe. Als sein Nachfolger als CEO wurde der erfahrene Werkzeugmaschinenmanager Reinhold Groß berufen. Er soll einerseits die Kontinuität der Unternehmenskultur garantieren, auf der anderen Seite Innovationen auf allen Ebenen stärken und das Unternehmen für die nächsten Jahre fit machen. Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe.
Sie waren vor Ihrem Engagement hier bei HELLER über 25 Jahre bei einem der weltgrößten Werkzeugmaschinenherstellern in den unterschiedlichsten Führungspositionen beschäftigt. Was kann einen erfolgreichen und gutgelittenen Spitzenmanager veranlassen, ein Vorzeigeunternehmen und Technologieführer wie Trumpf zu verlassen und hier bei der HELLER Gruppe einzusteigen?
Eine Vorbemerkung: Ich bin nicht direkt von Trumpf hierher zu HELLER gewechselt, sondern erst einmal habe ich Trumpf verlassen, ohne überhaupt mit einem anderen Unternehmen gesprochen zu haben. Erst danach habe ich mich neu orientiert …
… bleibt die Frage nach dem „Warum“?
Als ich bei Trumpf begonnen habe, waren dort um die 2500 Mitarbeiter*innen beschäftigt, bei meinem Ausstieg waren es mehr als 14.000. Soll heißen, aus dem einst mittelständischen Unternehmen ist ein veritabler Konzern erwachsen. Damit verändern sich zwangsläufig die Strukturen und Abläufe, und ich habe die letzten Jahre gemerkt, dass diese Begleiterscheinungen immer schwerer mit meinen Vorstellungen in Einklang zu bringen waren. Und, um möglichen Fehlinterpretationen vorzugreifen: Ich habe weiterhin ein sehr gutes Verhältnis zur Firma Trumpf und der Eigentümerfamilie.
Ist es eigentlich ein Zufall, dass Sie nach dem Familienunternehmen Trumpf mit HELLER wieder zu einem Familienunternehmen gewechselt sind?
Ganz sicher war die Unternehmensform nicht der ausschlaggebende Grund, hat aber gleichwohl eine wichtige Rolle gespielt. Denn hier geht es in aller Regel darum, nachhaltige Strukturen aufzubauen und das Unternehmen über Generationen hinaus zu entwickeln und zu sichern. Gerade in einem so zyklischen Geschäftsfeld wie dem Werkzeugmaschinenbau ist eine langfristige Strategie meiner Überzeugung nach der richtige Weg. Diese Kontinuität lässt dem Management auch die Möglichkeit, einmal Entscheidungen zu treffen, die momentan antizyklisch, aber nichtsdestotrotz eben klug und richtig sind. Bei börsennotierten Unternehmen, als Gegenextrem, ist die Quartalsbetrachtung führend.
Nun sind Blechbearbeitung und spanende Fertigung zwar zwei unterschiedliche Einsatzfelder, aber man kennt sich eben doch. Wie haben Sie HELLER eigentlich während Ihrer Zeit in Ditzingen wahrgenommen?
Mehr als nur wahrgenommen. Es bestand über die Jahre immer wieder Kontakt zu HELLER. Zum Beispiel haben wir uns bei der Ausgründung des Servicebereichs bei Trumpf vor Ort in Nürtingen mit den betreffenden HELLER Führungskräften ausgetauscht, da dort kurz vorher eine ähnliche Umstrukturierung stattgefunden hatte. HELLER war also keine Unbekannte. Für mich war HELLER ein traditionsbewusstes, aber gleichzeitig sehr innovatives Unternehmen.
Wie sehr hat sich dieses Bild seit Ihrem Eintritt verändert?
Eigentlich eher bestätigt. Mein Eindruck war und ist, dass HELLER ähnlich wie Trumpf doch sehr ingenieursgetrieben ist. Die technische Expertise, und das bis ins letzte Detail, ist unglaublich hoch. Es gibt viel Wissen und innovative Denkansätze in diesem Unternehmen und das gilt es möglichst schnell umzusetzen. Hierbei kommt dem HELLER-internen Motto „Fast Forward“ zur Umsetzung der Strategie künftig eine noch höhere Bedeutung zu. Die Ansammlung von Kompetenz hat dazu geführt, dass HELLER dort, wo es anderen Herstellern zu komplex wird, immer noch Lösungen anbieten kann. Diese Kompetenz auch in Grenzbereichen in produktive Systeme umzusetzen, zeichnet HELLER aus.
Aber: So positiv dieses außerordentliche Know-how prinzipiell ist, beinhaltet es auch eine Gefahr: Auch wenn man alles kann, ist es nicht immer klug, wenn man auch alles macht. Es bedarf hier eines guten Entscheidungsfilters, wo sortiert wird, was von den Ideen auch umgesetzt werden soll. Es geht beispielsweise darum, die Variantenvielfalt so zu behandeln, dass wir nicht nur alle Aufgabenstellungen umsetzen können, sondern dabei die Kostenstrukturen nicht überreizen und auch preislich wettbewerbsfähig bleiben. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass wir unserem Kunden genau zuhören müssen, was er denn wirklich braucht und will, und nicht alles anbieten, was technisch möglich ist.
„Im Grundsatz geht es darum, den Kunden die Werkzeuge an die Hand zu geben, ihre eigenen Prozesse zu optimieren.“
Höre ich hier leichte Kritik an Ihren Vorgängern?
Nein, eher die Kurzbeschreibung einer meiner vordringlichsten Aufgabenstellungen als CEO.
Nun sollte man eigentlich meinen, die dringlichste Aufgabenstellung wäre, HELLER aus der Abhängigkeit von der Automobilindustrie zu lösen – oder sehen Sie das anders?
Das ist teilweise korrekt, ich möchte darauf aber gern etwas spezifischer antworten. Etwa die Hälfte unserer Aufträge im letzten Jahr kam aus dem Automobil- und Nutzfahrzeugsegment. Nur ein Viertel hatte einen Bezug zum Verbrennungsmotor. Betrachten wir alle Themen, die nicht verbrennungsmotorabhängig sind, waren dies im letzten Jahr bereits über 75 Prozent. Das zeigt einerseits, dass der Markt-Shift im vollen Gange ist. Auf der anderen Seite müssen wir unsere Kompetenzen im Bereich der Verbrennungsmotoren aber aufrechterhalten. Auch wenn nur noch wenig in Neuanlagen investiert werden wird, werden die bestehenden Anlagen, vor allem im Nutzfahrzeugbereich, noch zehn oder 20 Jahre betrieben. Die dafür notwendigen Umbauten und Umrüstungen müssen wir planen und durchführen können. Unabhängig von diesen Anteilen können wir das Wissen, das wir bei der Erfüllung der hohen Anforderungen aus der Automobilindustrie erworben haben, aber auch sinnvoll in vielen anderen Branchen zum Nutzen der Kunden anwenden.
Wie groß war der „technologische“ Sprung von der Blechbearbeitung hin zu den Erfordernissen der spanenden Fertigung?
Als ich mich entschieden habe, bei HELLER einzusteigen, hatte ich die Einschätzung, dass ich mir marktseitig vieles neu erarbeiten muss. Ich war in meinem Berufsleben wahrscheinlich bei mehr als eintausend Blechbearbeitern, aber schon bei meinen ersten Kundenbesuchen wurde deutlich, dass die Kunden beider Anwendungen mit ganz ähnlichen Problemstellungen zu kämpfen haben. Ich versuche insbesondere die Märkte und die daraus abgeleiteten Anforderungen in das Zentrum unseres Tuns zu stellen und betrachte mich damit mehr als „Marktmensch“ und weniger als „Technologen“. Natürlich benötigen wir das große technologische Wissen der Fachleute, um die Aufgabenstellungen des Marktes in herausragende Technologien und Produkte umzusetzen.
Es heißt nicht zu Unrecht „Neue Besen kehren gut“. Gibt es denn einen Geschäftsbereich hier bei HELLER, dem ein neuer CEO seine besondere Aufmerksamkeit widmen sollte?
Da möchte ich keine einzelne Funktion herausheben. HELLER hat in Summe die Herausforderungen der letzten Jahrzehnte gut gemeistert und hat in wichtigen Themen gute Schritte getan, die aber weiter vorangetrieben werden müssen.
Welche Themen sind das?
Wir reden hier beispielsweise über Schnittstellen und über Datenströme. Hier hat der deutsche Maschinenbau in seiner Gesamtheit noch etwas Nachholbedarf. Alle Firmen arbeiten daran, durch die heterogene Situation bei den Kunden ist das jedoch eine komplexe Aufgabenstellung und braucht Zeit bis zur vollständigen Umsetzung. Im Grundsatz geht es darum, den Kunden die Werkzeuge an die Hand zu geben, ihre eigenen Prozesse zu optimieren. Dazu brauchen wir mehr Daten, mehr Transparenz, mehr übergreifende Interpretation und Steuerung, und das muss herstellerseitig bereitgestellt werden.
Sprechen Sie hier über Industrie 4.0?
Im Prinzip ja, aber nicht als eine Art Revolution, wie das vor Jahren bezeichnet wurde, sondern als evolutionäre Entwicklung. Hier befindet sich HELLER seit Jahren auf einem guten Weg. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur einmal das HELLER Services Interface nennen, mit dem sich digitalisierte Daten kundengerecht nutzen lassen. Damit können wir eine sehr gute Prozesstransparenz geben und Maschinen-Zustandsparameter zur Verfügung stellen. Wir bieten aber auch die Schnittstellen an, um die Daten in MES-Systemen weiterzuverarbeiten oder um Automatisierungssysteme anzuschließen.
Stichwort Automatisierung: Mit der Blechbearbeitung waren Sie bislang in einem Umfeld tätig, wo eine übergreifende Automatisierung schon beinahe als absolutes Muss gelten kann. Hat die spanende Fertigung hier nicht noch Nachholbedarf?
Ich sehe hier keinen großen Unterschied. In der Blechfertigung hat sich in den letzten Jahren ein kleiner Trend abgezeichnet, dass autarke Fertigungszellen mit Automatisierung nur von einem Hersteller gekauft wurden. Damit fallen die Schwierigkeiten mit verschiedenen Schnittstellenformaten unterschiedlicher Hersteller weg. Grundsätzlich ist die Bedeutung der Automatisierung aber gleichermaßen gegeben, egal ob kubische Werkstücke oder Bleche bearbeitet werden. Die Automatisierung ist deshalb auch für uns ein zentraler Erfolgsfaktor. Auch an dieser Stelle hat HELLER bereits eine große Kompetenz aufgebaut.
Die HELLER Gruppe ist weltweit präsent, aber speziell außerhalb Zentraleuropa – sprich USA und China – sehr auf die Belange der Automobilindustrie ausgerichtet. Ist das nicht ein Umstand, den es zu ändern gilt?
Es ist sicher so, dass in der Vergangenheit die Organisationen mit großen Projekten oft mehr als ausgelastet waren. Zum einen sind nun in den USA und China weiterhin weit mehr Projekte im Automobil- und Nutzfahrzeugsegment aktiv, weshalb der Anteil höher bleiben wird. Zum anderen haben wir aber auch in beiden Märkten Initiativen gestartet, um in weitere Anwendungen vorzudringen. Bislang mit erfreulicher Resonanz.
„Eine neue Idee muss sich deshalb fast immer zunächst durch Erfolg am Markt beweisen.“
Bislang war der Standort Nürtingen so etwas wie Herz und Hirn der gesamten HELLER Gruppe. Wird das unter einem Vorstandschef Reinhold Groß so bleiben?
Nürtingen war und ist der zentrale HELLER Standort. Das wird auch so bleiben. Dabei gilt der Grundsatz der lokalen Kundennähe natürlich auch für HELLER. Das bezieht sich vor allem auf die Vertriebs- und Servicefunktionen. Mit beinhaltet ist auch eine fundierte lokale Beratung. Die Produktentwicklung, die Kompetenz für Technologie, Automatisierung, Digitalisierung, all das wird aber zentral bleiben oder zentral gesteuert sein. Und natürlich werden auch wesentliche wertschöpfende Funktionen wie z. B. die Komponentenfertigung für die gesamte Gruppe in Nürtingen nicht infrage gestellt.
Auch wenn derzeit angesichts Corona und Ukraine alle Prognosen mit einer bestimmten Unsicherheit behaftet sind, ein HELLER CEO hat sich wohl auch gewisse Umsatzziele gesetzt …
… wir haben für dieses Geschäftsjahr einen Auftragseingang von etwas mehr als 500 Mio. Euro geplant. Nach allem, was wir derzeit wissen, werden wir dieses Ziel mindestens erreichen, wahrscheinlich sogar übertreffen. Angesichts der angesprochenen Einschränkungen läuft der Umsatz dem Auftragseingang natürlich hinterher. Marktseitig sind wir schon auf einem sehr guten Weg, wenn wir die angenommenen Aufträge verumsatzen.
Könnten auf diesem „guten Weg“ nicht auch neue Geschäftsmodelle hilfreich sein?
Das steht außer Frage. Ein Beispiel: Wir haben mit HELLER4Use ja ein innovatives Nutzungsmodell im Angebot, das bei unseren Kunden durchaus Anklang findet. Ich gehe davon aus, dass mit solchen Pay-per-Use-Modellen in Zukunft eine deutlich höhere Marktdurchdringung möglich ist. Gerade derartige Ideen, bei denen der Umsatz nicht schlagartig durch die Decke geht, sondern die meist eine lange Anlaufphase benötigen, sind bei Familienunternehmen bestens aufgehoben, da solche Modelle oft einen langen Atem brauchen.
Nun gilt die Werkzeugmaschinenindustrie gerade anwenderseitig als ein wenig konservativ. Halten Sie derartige Modelle für zukünftige Umsatzbringer?
Die Anwendenden von Werkzeugmaschinen müssen mit den Produkten nicht nur Geld verdienen, sondern sie gehen oft in der Beschaffung erhebliche unternehmerische Risiken ein. Vor allem kleinere Unternehmen. Ich habe daher großes Verständnis dafür, dass die Entscheidungen eher konservativ getroffen werden. Eine neue Idee muss sich deshalb fast immer zunächst durch Erfolg am Markt beweisen. Das stellt aber eigentlich eine gesunde und sportliche Herausforderung dar. Worauf man sich einstellen muss, ist, dass die Einführungsprozesse für neue Produkte oder Technologien dadurch etwas länger gehen können.
Noch einmal zurück zu der Fragestellung „Warum HELLER?“. Man darf ja davon ausgehen, dass auch durchaus Alternativen möglich gewesen wären. Was hat denn eigentlich letztlich den Ausschlag pro HELLER gegeben?
Mir hat im Gespräch mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Berndt Heller vor allem eine Aussage imponiert. Meine Frage war, was der Aufsichtsratschef und Hauptgesellschafter von der Unternehmensentwicklung für die nächsten zehn Jahre erwartet. Seine Antwort: „Ich will eigentlich, dass es meinen Leuten gut geht.“ In der Übersetzung heißt dies immer noch, dass wir wirtschaftlich erfolgreich sein müssen und Wachstum sowie eine gute Profitabilität brauchen. Aber es macht einen großen Unterschied, wie herum die Gleichung aufgestellt wird. In einer solchen Unternehmenskultur, so meine Überzeugung, macht es Sinn und auch Spaß, mitzuarbeiten.