Der Zukunft des Maschinen- und Anlagenbaus auf der Spur
TEXT Dr. Eric Maiser (VDMA) FOTOS Stock / Fotograf Foto Maiser
TEXT Dr. Eric Maiser (VDMA) FOTOS Stock / Fotograf Foto Maiser
Klimawandel, Migration, Urbanisierung, Mobilität, künstliche Intelligenz – die Welt ist im Wandel. Trends und Disruptionen eröffnen in vielen Branchen neue Geschäftschancen oder fordern Althergebrachtes heraus. Der Maschinen- und Anlagenbau ist mittendrin: eine innovationsgetriebene Industrie, die seit jeher aktuelle Trends aufgreift, um Produkte und deren Produktion zu verbessern und Neues zu schaffen. Wie können die Unternehmen Veränderungen erkennen und gestalten? Welche Rolle spielt die Digitalisierung? Ein Einblick in Trends, Trendscouting und Foresight als Unternehmensstrategie.
Maschinenbauer „produzieren“ die Zukunft
Werkzeuge, Maschinen und Anlagen sind Treiber des technischen und gesellschaftlichen Wandels – nicht erst seit der industriellen Revolution und dem Flug zum Mond. Dabei ist der Maschinenbau selbst immer im Wandel: Nach der perfektionierten Mechanik reifte in den 1970er Jahren die Erkenntnis, dass der Einsatz von Elektronik dem Maschinenbau neue Horizonte öffnet. Heute kommen umfassende, ja revolutionäre Impulse von der Informatik und Maschinenbau-fernen Startups. Der Maschinenbau selbst ist damit Trendsetter. Das wird deutlich an den folgenden Beispielen für Trends im Zusammenhang mit der Digitalisierung.
Digitalisierung: Fünf komplexe Zukunftsfelder
In den 1980er Jahren als „Computer Integrated Manufacturing (CIM)“ geboren, wurde mit dem schnellen Zuwachs an Rechnerleistung und vernetzten Mikrosensoren vor zehn Jahren die selbstorganisierende Produktion erfunden, heute bekannt als „Industrie 4.0“. Mit OPC-UA kommt derzeit „Plug-and-Play“ in die Fabrik. 2016 wurde eine weitere Dimension populär: Selbstlernende Maschinen durch „Maschinelles Lernen“, ein Teilbereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Der Mehrwert für die Industrie: Produktion und Logistik werden noch flexibler und individualisierbarer. Das eigentlich Revolutionäre ist aber, dass Machine Learning nicht nur hilft, große Datenmengen automatisch auszuwerten, sondern auch unbekannte Zusammenhänge herzustellen, ungewöhnliche Schlüsse zu ziehen, neues Wissen zu generieren – und das in Echtzeit. Attraktive, gänzlich neue Geschäftsmodelle können sich ergeben, von Predictive Maintenance, As-a-Service-Angeboten und Datenvermarktung bis hin zu Mensch-Maschine-Schnittstellen. Neue Märkte mit zweistelligem Wachstumspotenzial tun sich für den Maschinenbau auf, bei Hard- und Software. Zudem lässt KI völlig neue Berufsbilder entstehen und macht die Firmen attraktiv für „Digital Natives“.
Digitalisierung und Vernetzung sind auch mächtige Treiber für die Zukunft von Supply Chains. Heute sind global wandlungsfähige Wertschöpfungsnetzwerke gefragt, um immer schneller ändernde Produktanforderungen für immer anspruchsvollere Kunden in immer kürzerer Zeit bedienen zu können. Wenn Bestellabläufe und Finanzströme nicht nur digitalisiert und automatisiert werden, sondern autonom ablaufen und damit Bestellzettel, ausgedruckte Lieferscheine und Rechnungen obsolet werden. Wenn die „letzte Meile“ in der Zustellung zuverlässig und kundengerecht organisiert wird, auch mit Drohnen. Dann erstreckt sich Industrie 4.0 weit über die Produktionshallen hinaus und wird zur „Autonomisierten Supply Chain“.
Zukunftswerkstoffe ermöglichen völlig neue Ansätze für Produkte, Produktionsprozesse und Maschinen und sind seit jeher vielfach Ursprung von Innovationen. Es gibt unzählige Beispiele: Laserkristalle, Halbleiter-Chips, anwendungsspezifische Metalllegierungen, individualisierbare Kunststoffe, technische Keramiken oder Carbonfasern. Immer schneller kommen Materialien und Werkstoffkombinationen mit gänzlich neuen Eigenschaften aus den Laboren. Hybrider Leichtbau, Multi-Material-Design, Additive Manufacturing, Bionische Konstruktionsverfahren oder Smart Materials sind aktuelle Felder mit unterschiedlichem Potenzial für den Maschinenbau – als Anbieter und als Anwender. Wie kommt die Digitalisierung ins Spiel? Werkstoffe müssen Industrie 4.0-tauglich werden. Nicht nur für die Produktion selbst, sondern auch für das Ende des Produktlebenszyklus – Kreislaufwirtschaft 4.0 heißt der aktuell diskutierte holistische Ansatz, der die Kreislauffähigkeit von Produkten bereits in der Designphase berücksichtigt, die Nutzung verlängert und für eine weitgehende Wiederverwertung sorgt. Heute noch so gut wie unrealisiert können Industrie 4.0-Ansätze so ein riesiges Potenzial für Müllvermeidung, Ressourcenschonung, Versorgungssicherheit und Treibhausgasvermeidung leisten – eine perfekte Spielwiese für den Maschinenbau.
Apropos CO2: Der Maschinen- und Anlagenbau rüstet viele Branchen mit effizienzsteigernden und emissionsmindernden Technologien aus und ist damit eine Schlüsselindustrie für den Klimaschutz. Erneuerbare Energien und die direkte Nutzung von elektrischem Strom rücken vermehrt in den Fokus, vor allem bei der Mobilität. Daneben ist die indirekte Elektrifizierung durch Umwandlung in andere Energieformen, Power-to-X, eine vielversprechende Flexibilitätsoption. „X“ bezeichnet dabei z. B. Gase, Flüssigkeiten, Wärme oder chemische Grundstoffe. Dazu gehören auch synthetische Kraftstoffe für den Flug- und Schiffsverkehr. Bei den hier notwendigen erneuerbaren Energien spielt die Digitalisierung eine wesentliche Rolle als Basis für die internationale Organisation von Netzen und Versorgungssicherheit.
Startups: Neue Wege gehen
Eine Fülle von Themen, die es zu nutzen gilt. Schnelligkeit ist Trumpf im globalen Wettbewerb. Startups sind ein gutes Beispiel, wie Trendthemen schnell in neue Technologien und Produkte umgesetzt werden können, die auch im Maschinenbau eine Rolle spielen. Anders als etablierte Unternehmen können sie kreativer und unbefangener ausprobieren. Die Digitalisierung ist dabei ein auffälliger, aber längst nicht der einzige Treiber. Sie bringen aber auch neue Arbeitsweisen ein, die für die Industrie sehr wertvoll sein können – von Makerspaces bis zu agilen Teams und UserX. Umgekehrt ist der Maschinenbau eine riesige Anwenderindustrie für Startups. Beide Seiten können voneinander profitieren und voneinander lernen.
Corporate Foresight als Unternehmensstrategie
Kurzum: Die Technologien und Märkte für Maschinen und Anlagen sind sehr vielfältig das Geschäft ist global. Das macht fast jeden Trend für Maschinenbauer interessant, das Spektrum ist riesig. Andererseits: Investitionsgüter müssen wesentlich länger halten als Konsumgüter, die Kunden sind anspruchsvoller, das Investitionsrisiko höher. Dementsprechend robust müssen die Geschäftsmodelle in der Branche sein, da bleibt teilweise wenig Spielraum für „Experimente“. Das Fazit: Die Unternehmen brauchen nicht nur Flexibilität, um zu reagieren, sondern auch strategische Weitsicht, um ihr Geschäft proaktiv zu gestalten und auf disruptive Veränderungen vorbereitet zu sein, egal was und wann es passiert. Waren früher Key Performance Indicators das zentrale Instrument der Unternehmensentwicklung, etabliert sich heute „Corporate Foresight“ – integrative Ansätze und vernetztes Denken als strategische Instrumente für unternehmerische Vorausschau und Innovationsprozesse in Unternehmen. Gerade mittelständischen Firmen fehlen in der Regel Abteilungen, die es erlauben, Trends schnell und systematisch einschätzen zu können, Euphorie und Schwarzmalerei zu erkennen oder gar echte Foresight-Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Das gilt in gleicher Weise für die Zusammenarbeit mit Startups.
Unsere Lösung: VDMA Future Business. Ein „Think-Tank für den Maschinen- und Anlagenbau“, der mit Trendradar, Szenarioworkshops und strategischer Frühaufklärung den Unternehmen hilft, ihre Zukunft systematisch und strukturiert anzugehen. Die VDMA Startup Machine schafft es, mit einem Startup-Radar, neuen Kooperationsformaten und Methoden, junge Unternehmen und ihre Kultur mit dem mittelständischen Maschinenbau zu vernetzen. Offenheit für Neues, den Wandel gestalten, statt abzuwarten – wir fördern damit eine Stärke des Maschinen- und Anlagenbaus.
Dr. Eric Maiser (*1967), Physiker, ist Leiter des VDMA Competence Centers Future Business, eines Think-Tanks für den Maschinen- und Anlagenbau mit dem Ziel, relevante Trends aufzuspüren und nutzbar zu machen. Der Trendscout und Roadmapping-Experte startete 2000 beim VDMA und gründete aus dem Bereich Elektroproduktion heraus erfolgreich mehrere Spin-offs, u. a. zu Flachdisplays, Photovoltaik- und Batterieproduktion.