Was Führungskräfte über den Wolken und am Boden auszeichnet
TEXT & FOTOS Philip Keil
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Der Job im Cockpit ist eigentlich sehr klar strukturiert und folgt routinemäßigen Handlungsmustern. Eigentlich. Ein technischer Defekt oder ein schwieriger Anflug bei schlechtem Wetter werfen auch erfahrene Piloten plötzlich aus dieser Komfortzone. Das passiert öfter, als Passagiere vermuten würden und nein, es trifft dann kein Autopilot die Entscheidung für uns. Plötzlich ist alles anders: Der enorme Input der zahlreichen Instrumente, der Zeitdruck und die Verantwortung für hunderte Menschenleben – es gibt Situationen im Leben, auf die kannst du dich nicht vorbereiten. Und in 13 km Flughöhe rechts ranfahren geht eben auch nicht.
Deshalb gibt es im Cockpit eine goldene Regel: Fly the aircraft! Was auch immer da oben passiert, bleib ruhig und flieg die Kiste! Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Plötzlicher Stress blockiert unser rationales Denken. Die Kunst ist, einen Kontrollverlust abzuwenden, indem man seinen Fokus wie einen Lichtstrahl in Ruhe ausrichtet. Auf die eine, wichtige Sache. Wenn auch in Ihrem Cockpit mal wieder alle Warnlichter und Alarmglocken angehen, fragen Sie sich zuerst: Was ist in diesem Moment wirklich wichtig? Um was geht es hier wirklich? Was ist mein „Fly the aircraft“?
MUT ZUR DEMUT
Eine unterschätzte Tugend moderner Führung. Oder wie viel Demut erkennen Sie aktuell auf der Welt? „Demut“ stammt aus dem Althochdeutschen „diemuoti“ und bedeutet „Mut zum Dienen“. Womit wir beim Thema Führung wären. Stellen Sie sich vor, Sie blicken aus der Vogelperspektive auf die Welt herunter – das ist Demut. Wer demütig führt, sieht sich als Teil des großen Ganzen. Es geht darum, das Steuer abzugeben, um andere wachsen zu lassen. Deshalb lässt ein guter Kapitän bei einem schwierigen Anflug ganz bewusst den Co-Piloten fliegen. Denn da oben bist du nur so gut wie dein Team.
Blicken auch Sie öfter mal aus der Distanz auf die Dinge. Achten Sie bei der Zusammenstellung eines Teams auf Vielfalt. Und dann nutzen Sie dieses Feedback zur Reflektion. Holen Sie sich Menschen an Bord, die Ihnen sagen, was Sie wissen sollten. Nicht, was Sie hören wollen. Es gibt nichts Gefährlicheres als einen Co-Piloten, der seinem Kapitän nach dem Mund redet. Auch im Unternehmens-Cockpit.
FEHLERKULTUR = VERTRAUENSKULTUR
Geraten Piloten in eine Situation, in der sie so noch nicht waren, müssen sie aus ihren Routinen ausbrechen. Und jenseits eingespielter Routinen passieren Fehler. Am Boden wie in der Luft. Fliegen ist heutzutage nicht deshalb so sicher, weil Piloten fehlerfrei sind. Aber die Fehlerkultur hat sich gewandelt: Es ist niemals der Fehler an sich das Problem. Sondern die Fehlerkette. Weder Unternehmen noch Flugzeuge stürzen ab, weil der Einzelne einen Fehler macht. Sondern weil niemand im Team den Fehler sieht. Oder sehen will. Oder weil sich niemand traut, den Fehler offen anzusprechen. Dafür braucht es Vertrauen im Cockpit. Denn wer nicht vertraut, vertuscht. Oder schweigt.
Aber auch über das Cockpit hinaus müssen Crews ihre Fehler offen in einem geschützten Piloten-Netzwerk thematisieren, um alle Kollegen an den wertvollen Erfahrungen teilhaben zu lassen. In einer Lernkultur geht es nicht darum, „WER“ den Fehler gemacht hat, sondern „WARUM“. Verstehen wir das „WARUM“ hinter einem Fehler, können wir das System Luftfahrt gezielt verbessern. Positive Fehlerkultur funktioniert in der Praxis nur mit Vertrauen. Wie der Kapitän es vorlebt, verhält sich die gesamte Crew.
DER INNERE KOMPASS
Sie glauben, Piloten entscheiden immer rein rational – Zahlen, Daten, Fakten? Zugegeben, es wäre schön, gäbe es für alles im Leben eine maßgeschneiderte Checkliste oder Berechnungsformel, und das Problem ist gelöst. Gibt es aber nicht. Als Führungskraft über den Wolken stehe ich täglich vor den gleichen Herausforderungen wie ein Manager oder Firmenlenker. Schwierige Entscheidungen gehen weit über das Rationale hinaus. Das wichtigste Instrument für einen Piloten befindet sich daher nicht im Cockpit. Es ist der „innere Kompass“. Das ist mehr als nur ein Bauchgefühl. Es ist die Macht der Intuition. Eine innere Stimme, die sich aus all unseren bewussten und unbewussten Erfahrungen speist. Ein Kompass zeigt Ihnen kein „richtig“ oder „falsch“ an. Und nein, ein Kompass liefert auch keine Begründung mit. Ein Kompass zeigt Ihnen einfach nur eine Richtung an. So wie uns unsere innere Stimme ein klares Signal gibt. Wir alle haben ihn, diesen Kompass. Was eine gute Führungskraft auszeichnet, ist der Mut, ihm zu folgen. Gerade wenn es turbulent wird. Diesen Mut wünsche ich Ihnen. Kommen Sie gut an!
Philip Keil ist Pilot, Erfolgsautor und Keynote Speaker. Mit seinen spannenden Impulsvorträgen begeistert er jährlich zehntausende Menschen in ganz Europa. 2018 wurde er in die Riege der „Management-Vordenker Deutschlands“ aufgenommen. 2019 und 2020 wurde er als „Top-Redner des Jahres“ nominiert. Seine Themen: Motivation, Führung, Teamwork, Change-Management, positive Fehlerkultur. Mehr über Philip Keil, seine Vorträge und Publikationen finden Sie auf: www.philipkeil.com