Mensch und Maschine: Gemeinsam am stärksten
Auf die Gestaltung kommt es an
Vernetzung und maschinelles Lernen ermöglichen eine zunehmende Autonomie der Technik. Dadurch stellen sich neue Fragen in der Gestaltung der Mensch-Technik-Interaktion. Wie kann eine produktive Zusammenarbeit von Mensch und intelligenter Maschine gelingen? Setzen wir auf Assistenzsysteme, die menschliche Tätigkeiten und Entscheidungen unterstützen? Oder wollen wir Verantwortung und Handlungsführerschaft für bestimmte Aufgaben sogar vollständig an die Technik übertragen? Neben der technischen Machbarkeit und dem wirtschaftlichen Nutzen spielen ethische und gesellschaftliche Fragen eine immer größere Rolle. Wie soll das Rollenverständnis von Mensch und Maschine zukünftig aussehen? Im Forschungsbereich Mensch-Technik-Interaktion des Fraunhofer IAO beschäftigen sich über 40 Expert*innen mit der Frage, wie wir das Beste aus dem technischen Fortschritt machen können – für die Wirtschaft und für den Menschen.
TEXT Matthias Peissner, Kathrin Pollmann, David Blank FOTO Fraunhofer IAO
HMI Design – Produktivitätsfaktor und Alleinstellungsmerkmal
Die Digitalisierung der Produktion hat dazu geführt, dass die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine – das sogenannte Human Machine Interface (HMI) – heute ein strategischer Produktivitätsfaktor ist. „Usability“ heißt das Zauberwort. Das HMI soll eine möglichst intuitive, einfache, sichere und fehlerfreie Bedienung ermöglichen. Bei zunehmender Prozesskomplexität und wenn mehrere unterschiedliche Systeme bedient werden sollen, gewinnt die Standardisierung der Oberflächen an Bedeutung. Das Ziel ist, dass selbst schwierige Sachverhalte und umfangreiche Daten so schnell und intuitiv erfasst werden können wie eine Smartphone-App.
IT für den Hallenboden – so einfach wie die App auf dem Handy
HMIs sind jedoch nicht nur wichtig, um die Produktivität der Mitarbeitenden zu steigern. In der Außendarstellung des Unternehmens fungieren sie als Aushängeschild, als Qualitätsmerkmal und als Ausdruck von Innovationskraft. Erst durch ein exzellentes HMI-Design werden Technologieführerschaft oder besonders praktische Funktionen einer neuen Maschine für Entscheidungsträger und Nutzende sichtbar und erlebbar.
Die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Ein zunehmend wichtiger Aspekt der HMI-Gestaltung ist die Vermittlung umfangreicher Datenmengen. Durch neue Sensoren und einen höheren Vernetzungsgrad der Anlagen stehen zahlreiche Informationen zur Verfügung, die zum Beispiel für Prozessoptimierungen genutzt werden können. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Daten vorverarbeitet und zu sinnvollen Informationen integriert und schließlich durch geeignete Darstellungsformate für den Menschen nutzbar gemacht werden.
Für die Datenverarbeitung nutzen die Fraunhofer-Forscher*innen moderne Verfahren des maschinellen Lernens, um aus Daten wertvolle Erkenntnisse zum Beispiel zu zukünftigen Bedarfen oder zum passgenauen Ressourceneinsatz in den industriellen Prozessen ihrer Partnerunternehmen zu gewinnen. Im Rahmen des KI-Fortschrittszentrum „Lernende Systeme und kognitive Robotik“* erhalten Unternehmen unter bestimmten Bedingungen eine öffentliche Förderung für KI-Projekte mit Fraunhofer.
Für eine optimale Informationsdarstellung wird in den Fraunhofer-Laboren insbesondere an zwei Themen geforscht: Erstens sollen moderne Visualisierungsansätze durch weitere Modalitäten wie zum Beispiel Vibration (s. taktile Westen in der Abb.) erweitert werden, um Informationen auch beiläufig übermitteln zu können, wenn die visuelle Aufmerksamkeit woanders liegt. Und zweitens geht es um das Informationsmanagement – oder um die Frage, wie durch Personalisierung und Context-Awareness die Informationen genau bei den Menschen landen und genau in der richtigen Form dargeboten werden, damit sie den maximalen Nutzen entfalten können.
* Das KI-Forschungszentrum ist eine gemeinsame Initiative der Fraunhofer-Institute IAO und IPA mit dem Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, um Technologien der KI-Spitzenforschung in die industrielle Praxis zu transferieren.
„Superkräfte“ durch Künstliche Intelligenz
Neben Datenanalysen und intelligenten Prognosen bieten Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) noch viele weitere Potenziale, um Prozesse flexibel und effizient zu gestalten. Doch der größte Nutzen der KI liegt nicht in der Automatisierung, sondern in der Zusammenarbeit mit dem Menschen. Die unterschiedlichen Stärken von KI-Technik und Mensch bieten optimale Voraussetzungen für eine gewinnbringende Kollaboration.
Zum Beispiel kann die Erkennung und Interpretation von Sprache und Gesten sehr intuitive und natürliche Interaktionsformen mit technischen Systemen ermöglichen, die in Zukunft eventuell sogar bis zur vereinfachten Programmierung eines Roboters reichen. Ein weiteres Feld ist die Entscheidungsunterstützung. Anhand des digitalen Modells einer Anlage oder eines Prozesses können verschiedene Handlungsoptionen und deren voraussichtliche Effekte simuliert werden, um kompetente Entscheidungen zu unterstützen. So kann beispielsweise ein optimaler Parametersatz für einen möglichst schnellen oder möglichst hochwertigen Fertigungsprozess ermittelt werden.
Kurz gesagt: KI kann menschliche Fähigkeiten erweitern. Sie kann uns „Superkräfte“ verleihen und unsere Produktivität deutlich steigern. Damit diese Chancen jedoch Akzeptanz finden und auch den einzelnen Mitarbeitenden zugutekommen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die befähigten Menschen die KI-Unterstützung tatsächlich auch als eine Verstärkung ihrer eigenen Fähigkeiten erleben und auch selbst davon nachhaltig profitieren. Denn wer sich an seinem Arbeitsplatz wohlfühlt und seine digitalen Arbeitsmittel mit Freude bedient, ist nachweislich engagierter, motivierter und identifiziert sich stärker mit den Zielen seines Arbeitgebers.
HERVORRAGENDE HMI VERBINDEN INTUITIVE USABILITY UND ATTRAKTIVES DESIGN. IM BILD: DAS HMI AUS EINEM PROJEKT FÜR VOLLMER MASCHINENWERKE
Mitarbeitende mitnehmen und begeistern
HMI-Lösungen, die Prozesse optimal unterstützen und die Mitarbeitenden begeistern, sind kein Zufallsprodukt. Sie entstehen vielmehr dann, wenn alle beteiligten Personengruppen direkt in den Entwicklungsprozess involviert werden und ihre Anforderungen einbringen. Moderne HMI-Engineering-Prozesse setzen daher auf die Zusammenarbeit zwischen Design, Entwicklung und den Nutzer*innen, denn: Je besser wir die Zielgruppen eines Systems, ihren Arbeitskontext und ihre Arbeitsprozesse kennen, desto passgenauer können wir die Funktionen und die Interaktionsgestaltung auf ihre Bedürfnisse ausrichten.
Es ist für die Konzeption zum Beispiel wichtig zu wissen, ob eine Anwendung besonders das Kompetenzerleben der Mitarbeitenden oder eher das Bedürfnis nach Sicherheit ansprechen soll. Wird ein Nutzerbedürfnis erfüllt, entstehen positive Emotionen und die Mitarbeitenden sind motiviert und erleben die Zusammenarbeit mit dem System als bereichernd. Wird ein Bedürfnis nicht erfüllt, führt das langfristig zu Frustration.
„Gutes Design beginnt beim Menschen und seinen Bedürfnissen, es ist ein Prozess zur Entscheidungsfindung und ein Erfolgsfaktor – keine Kunstform.“
Die Prinzipien und Methodiken für eine solche ganzheitliche, bedürfnisorientierte Gestaltung haben die Wissenschaftler*innen des Fraunhofer IAO in ihrer UXellence®-Toolbox zusammengefasst, die mit Kunden wie Bosch, ORANGE, Zeiss, Kellenberger, Volkswagen Nutzfahrzeuge und Oerlikon nicht nur im Konsumgüterbereich, sondern gerade auch für die Gestaltung von Arbeitssystemen zum Einsatz gekommen ist.
Ein zusätzlicher Mehrwert kann durch „Gamification“ geschaffen werden. Dabei werden industrielle Anwendungen gezielt mit spielerischen Elementen angereichert, um z. B. das Teamgefühl zu stärken, Motivation und Konzentration zu erhöhen, Monotonie zu vermeiden oder Lernen und Weiterbildung spannender zu gestalten. Gamification kann ihre Wirkung dann entfalten, wenn eine Arbeitsaufgabe zu einem spielerischen Gesamterlebnis inszeniert wird, um den intrinsischen Wert der Tätigkeit hervorzuheben. In einer Kooperation mit Volkswagen konnte durch Gamification ein großer Effekt auf intrinsische Motivation und Stimulation erzielt werden. Die psychische Beanspruchung wurde verringert und die Überwachungsleistung wurde positiv beeinflusst. Damit stieg letztendlich die Produktivität der Anlage.
FRAUNHOFER-DESIGN FÜR EINE INFORMATIONSWAND ZUR OPTIMIERUNG DER FAHRZEUGPRODUKTION BEI VOLKSWAGEN (OBEN). KÖNNEN INFORMATIONEN ZUKÜNFTIG AUCH ÜBER „TAKTILE WESTEN“ (UNTEN) VERMITTELT WERDEN?
Feinfühlige Technik aus dem Neuro-Lab
Zukunftsvisionen für eine Technik, die sich konsequent an den Menschen anpasst, werden im Neuro-Lab des Fraunhofer IAO entwickelt. Seit 2010 arbeiten die Forscherinnen und Forscher daran, Verfahren aus den Neurowissenschaften auch für den industriellen Alltag nutzbar zu machen. Ein Schwerpunkt des Neuro-Labs liegt auf der neurowissenschaftlichen Ergänzung von Nutzertests, z. B. um Emotionen oder Aufmerksamkeitsprozesse genauer verstehen zu können. Darüber hinaus ist aber die Nutzung von Neurosignalen auch als neuartige Eingabemöglichkeit für interaktive Systeme interessant. Im Bereich dieser sogenannten Gehirn-Computer-Schnittstellen (Brain-Computer Interfaces, BCI) beschäftigen sich aktuelle Entwicklungsprojekte des IAO zum Beispiel mit den folgenden Anwendungen:
Die Arbeiten des Neuro-Labs werden die Grenzen dessen, was die Technik für uns Menschen leisten kann, deutlich verschieben. Zwar werden wir industrielle Prozesse wahrscheinlich auch in Zukunft nicht per Gedanken steuern. Dennoch sind personalisierte Weiterbildungsangebote und empathische Arbeitssysteme, die auf individuelle Bedürfnisse und situative Belastungen reagieren, ein großer Schritt zu einer menschzentrierten Arbeitswelt.
Dr. Matthias Peissner ist Institutsdirektor und leitet den Forschungsbereich Mensch-Technik-Interaktion am Fraunhofer IAO. Seine interdisziplinären Teams arbeiten an Lösungen, die ein effizientes Zusammenspiel von Mensch und intelligenter Technik ermöglichen. Schwerpunkte seiner Arbeit sind anpassungsfähige Systeme, zukünftige Arbeitsumgebungen und die Gestaltung positiver Nutzungserlebnisse. Er koordiniert das KI-Fortschrittszentrum „Lernende Systeme“, das Teil des international renommierten Cyber Valley in Stuttgart/Tübingen ist. Als Experte für die menschengerechte Gestaltung von KI-Systemen engagiert er sich in der „Plattform Lernende Systeme“ und der „Global Partnership on AI“.
NEUROPHYSIOLOGISCHE MESSUNGEN (HIER ELEKTROENZEPHALOGRAFIE, EEG) KÖNNEN HELFEN, OPTIMALE FAHRZEUG-INTERIEURS ZU GESTALTEN UND DIE PROGRAMMIERUNG VON KOLLABORATIVEN ROBOTERN UNTERSTÜTZEN.